Helmut Kesberg
Einführungsansprache zu der Ausstellung
von Angelika Kissing und Angelika Schneeberger
im Hexenturm/Kunstverein Jülich, 6.3. 2015
Der markante, schöne Ausstellungsort des Hexenturms, in dem wir uns befinden, passt ganz besonders gut zu den Exponaten der Künstlerinnen Angelika Kissing und Angelika Schneeberger aus
Frechen. Dieser mittelalterliche Festungsturm, dessen dicke Mauern in reizvollem Kontrast zu den filigranen Exponaten stehen, umschließt die Werke beider Künstlerinnen wie ein
Schrein, ein Gehäuse für einen kostbaren Inhalt. Um Kostbarkeit und Gehäuse geht es auch inhaltlich in den Werken beider Künstlerinnen. Es ist mir eine besondere Freude, in diese
Ausstellung einzuführen, da ich beide Künstlerinnen, die ich gut aus der Arbeit des Frechener Kunstvereins kenne, seit langem in ihrem Schaffen verfolgt und bewundert habe.
ANGELIKA KISSING (Frechen)
Angelika Kissing, bekannt als Keramikerin und Malerin, zeigt eine Auswahl aus vier Werkgruppen der jüngsten Zeit mit Themen, Motiven und neuen keramischen Verfahren, die sie in der letzten Zeit
sehr beschäftigt haben. Sie haben also Gelegenheit, hier einen Blick in ihren aktuellen Produktionsprozess zu tun. Die Künstlerin hat in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe keramischer
Verfahren meisterlich entwickelt und angewandt und dabei ganz eigene individuelle künstlerische Positionen entwickelt. Architektonische Bauformen, Kuben, Quader, Kegeln und Kugeln kommen in
ihren Arbeiten immer wieder vor und bilden quasi den roten Faden, der sich durch ihre Werkentwicklung zieht. Dem entsprechen in ihrer farbenfrohen Acrylmalerei die Schichtungen von rechteckigen
geometrischen Formen.
In ihrer Installation "gesammelt und gesichtet" versammelt sie eine Vielzahl von Kuben mit der Kantenlänge 19 cm. Einige sind wie ein noch im Entstehen begriffener Aufbau auf dem Boden gestapelt,
andere sind zu hohen Stelen aufgetürmt. In einem über Jahre entwickelten Umdruck- und Bemalungsverfahren hat sie, ausgehend von Fotos, oft aus ihrem eigenen Leben, jeden dieser Würfel mit Bildern
und Texten versehen, in denen sich Geschichten kristallisieren. Auf den getrockneten Ton umgedruckt, wirken die Fotos seltsam zart und strahlen so eine nostalgische Atmosphäre aus, wie Bilder,
die man auf dem Dachboden gefunden und gesammelt hat und die jetzt gesichtet werden. Die Würfel laden zum Betrachten und Lesen ein, wobei die Erzählungen über das spezifisch Biografische
hinausgehen und im Betrachter eigene Erinnerungen wecken.
Auch die Werkgruppe "Häuser" mit ihren markanten viertelkreisförmigen Sägezahndächern, die an das Ludwig Museum in Köln erinnern, trägt auf den Außenwandungen Fotocollagen von Bildern, die uns
als Betrachter ansprechen, kommen uns doch viele dieser Bilder bekannt vor.
Ihre Bodeninstallation mit einer Vielzahl von mittelformatigen, eleganten Figurinen erinnert an eine Versammlung von Hofdamen in ihren Reifröcken. Beginnen sie, Pirouetten für einen Hofball
zu proben? Viele Assoziationen werden von den grazilen Figuren ausgelöst. Sind es Muttergottheiten? Eine antike Gymnastikgruppe? Gelenkig schließen sie halbkreisförmig ihre Arme über
dem Kopf zusammen. Ihre Gesichter sind individuell gearbeitet, es lohnt sich, sie näher zu betrachten. Die Gruppe aus rotem Ton trägt auf den bauschigen Röcken weiße Porzellanscherben wie
Mosaiksteine eingebrannt. Einer Gruppe aus hellem Ton hat die Künstlerin Letternstempel in den feuchten Ton eingedrückt, in der Type eine klassischen Antiquaschrift, so dass sie eine
antike Anmutung bekommen. Auch die großen Figurentorsi, Körper ohne Kopf und Arme, die uns aus den Turmnischen wie in erhabener Stille entgegenleuchten, fällt dadurch auf, dass auf
ihrem wunderbar klassisch geformten Korpus ebenfalls Fotos, Bilder und Schrift appliziert sind.
Angelika Kissing hat in den letzten Jahren mit ganz unterschiedlichen Ansätzen die bisher gesehenen frei aufgebauten keramischen Formen überschritten und um neue Formen, erzählerische,
architektonische, teilweise destruierte und neu zusammengesetzte bereichert. Hinzu kam das Experimentieren mit neuen Verfahren, die bisher in der Keramik unüblich waren. Damit rücken ihre
keramischen und ihre malerischen Arbeiten in Bezug auf die architektonische Schichtung wie auf die Farbigkeit aufeinander zu.
Angelika Schneeberger
hat sich in den letzten Jahren als Malerin delikater Früchte, Stilleben und Interieurs in der Region bekannt gemacht. Arbeitsschwerpunkt der Künstlerin und ihre erklärte künstlerische Position
ist realistische Malerei in Öl und Pastell. Beide Techniken setzt sie so ein, dass die sorgfältig inszenierten Objekte, oft Früchte – oder, wie in dieser Ausstellung – Ausschnitte von
Wohnzimmerinterieurs den Betrachter durch ihre überwältigende Präsenz in den Bann schlagen. Mit großer malerischer Delikatesse ins Werk gesetzte Licht- und Schatteneffekte geben den
herausgehobenen Gegenständen eine geradezu magische Wirkung.
Angelika Schneeberger gewährt hier in dieser Ausstellung einen Blick in ihr jüngstes Schaffen. Von vielen Seiten in Ausstellungen bewundert sind die Gemälde mit Betten, Kissen und Interieurs, von
denen Sie hier eine Auswahl sehen können. Die Künstlerin führt uns mit diesen Bildern in private Bereiche, die nicht eigens für Betrachter geöffnet wurden, weist mit liegengebliebenen
Accessoires, wie den rot glänzenden Handschuhen, die schon viel Stoff für Überlegungen gegeben haben, auf gelebtes Leben hin. Ungemachte Betten sind schon lange Malereimotiv. Meist fungieren sie
als Projektionsfläche für nicht dargestellte erotische Genreszenen, die wir uns in unserer Phantasie ausfabulieren sollen. Angelika Schneeberger zieht aus den Betten und Kissen einen
anderen Reiz. Sie ist an der Lichtregie interessiert, sammelt auf ihren Kunstreisen Augenblicke, in denen das Licht luftige Flecken auf glatte Stoffoberflächen wirft. Sie liebt die
Stofflichkeit der Oberfläche, das Dekorative und Preziöse, schreckt auch vor komplizierten Jaquardstoffmustern nicht zurück.
Natürlich kennt und bewundert sie die großen Meister dieses Genres. Zum Beispiel Chardin, von dem man auch heute noch so viel lernen kann. Weil er nämlich, damals revolutionär, statt der
preziösen Stilleben, in denen das Bürgertum seinen Reichtum zur Schau stellte: Austern, Zitronen, Granatäpfel und Silberkrüge wie bei den holländischen Meistern, unscheinbare Dinge zum Thema
machte. Und eine neue Technik der Malerei, die uns nur von ganz nah als unordentlich und verschleiernd erscheint, aus dem Abstand aber frappiert uns die täuschend echte Wirkung. Ähnlich
raffiniert geht unsere Künstlerin vor. Sie schildert die Oberfläche, ihre Absicht scheint es aber zu sein, auch hinter die Oberfläche zu sehen. Wenn Sie sich Ruhe bei der Betrachtung
nehmen, und dazu laden diese stillen Bilder ein, stellt sich ein Gefühl für die Magie der Dinge ein.
Ganz frisch kommen die kleinen schwarzweißen Dinggemälde daher zumeist Gegenstände aus dem Atelier darstellend. Hier geht sie noch einen Schritt weiter, auf die Poesie des Gewöhnlichen zu.
Handfeger, Elektroherdplatte, Skizzenbuch, Emailleschüsseln. Sie spielt mit dem Anschein des Dokumentarischen, scheint die Dinge zu nehmen, wie sie sind. Bei näherer Betrachtung fällt die
Inszenierung auf. Ausschnitte und Anschnitte machen uns unseren fotografisch gewordenen Blick bewusst. Sie vereinzelt die Gebrauchsgegenstände und steigert damit ihren Wert, führt raffinierte
Lichtregie und setzt Lichtglanzpunkte. Die kleine Serie entpuppt sich als Schule des Sehens und Verstehens.
Eine neue Serie von feinen Bleistiftzeichnungen stellt Geäst, Bäume und Blätter dar, aus ungewöhnlichen Perspektiven, aus Spaziergängersicht von unten, gegen den Himmel gesehen.
Wenn man sich in diese Bilder vertieft, kommt einem auch die immer mal wieder geführte Diskussion über die These in den Sinn, dass es gar nicht darauf ankommt, was, sondern darauf, wie es
gemalt wird, Ein Bündel Spargelstangen, ein Kohlkopf. Der Ausguss eines Waschbeckens. Positionen, die wir ja bei Manet, Liebermann und vielen anderen bekenntnishaft formuliert finden und
die jüngst Cornelius Völcker, der Tausendsassa unter den Oberflächenreizmalern in seinen Bildern verwirklichte. Die hier gezeigte Position ist nur dem ersten Anschein nach konservativ, der
Künstlerin würde es aber auch gar nichts ausmachen, sie so bezeichnet zu sehen, sie steht tatsächlich aber inmitten einer aktuellen Diskussion um unsere Wahrnehmung und deren künstlerische
Verarbeitung.
Angelika Schneebergers wie Angelika Kissings künstlerische Arbeiten kommen nicht effekthascherisch und plakativ daher, sie wirken still und nachhaltig, sind daher auch auf Betrachter angewiesen,
die sich Zeit für Sie nehmen. Ich wünsche Ihnen daher viel Zeit, erfüllte Zeit für deren Betrachtung und sich daraus ergebenden Genuss.