Jenny Graf-Bicher
Ausstellungseröffnung
Monika Gimborn-Jochum / Angelika Schneeberger
"SICHTWEISEN"
Kreishausgalerie Bergheim, 22. Mai 2011
Die Stichworte der Musikerinnen waren: gefällig, sperrig
Das sind - in salopper Formulierung - die Pole, zwischen denen sich Kunst immer bewegt.
Man kann auch sagen zwischen Schönheit und Widerständigkeit.
Die Natur – als „gemeinsame Nenner“ der Künstlerinnen Monika Gimborn-Jochum und Angelika Schneeberger, wie schon Frau Schütz herausgestellt hat – gibt für beides , die Wahrnehmung von Schönem und
die Wahrnehmung von Rätselhaftem, Erschreckendem, Irritierendem genügend Anlass, und tatsächlich ist beides auch in den Werken, die uns hier umgeben, ganz sinnfällig.
Der Blick auf die Malereien und Zeichnungen von Angelika Schneeberger, macht sofort deutlich: die Künstlerin ist von der sinnlichen Schönheit der Früchte und Blumen angezogen, sie setzt sie in
ihrer Kunst um und die Ergebnisse dieser Umsetzung entwickeln wiederum eine große Anziehungskraft.
Die Anziehungskraft, die diese Bilder von reifen Oliven, prallen Äpfeln, saftstrotzenden Kirschen ausüben, kann schnell gleichgesetzt werden mit der natürlichen Anziehungskraft der Oliven, Äpfel,
Kirschen selbst. Aber nur bei sehr flüchtiger Betrachtung kann man sagen, dass wir die Dinge hier so sehen „wie wir sie eh schon kennen“. Stellen Sie sich nur vor, an Stelle der Bilder würde hier
ein Olivenzweig oder dort ein Zweig mit Kirschen an der Wand hängen.
Es ist die Kunst von Angelika Schneeberger, die uns hier in ihren Bann zieht.
Zu dieser spezifischen Kunst gehört sicher ein guter Teil Kunstfertigkeit, wie das Beherrschen handwerklicher Techniken, um mit Öl, Pastell, Bunt- und Bleistift die spezifischen Materialien,
Formen, Oberflächen und Farben der Dinge ins Bild zu setzen, also in den zwei Dimensionen der Leinwand, des Papiers wieder erkennbar zu machen. Diese Kunstfertigkeit beherrscht sie, mit hoher
illusionistischer Wirkung.
Die besondere Kunst von Angelika Schneeberger aber besteht darin, die Dinge zu erheben, zu erhellen. Denn sie weiß um das Rätsel, das die Dinge hinter ihrer äußeren Erscheinung verbergen. Dem
versucht sie auf die Spur zu kommen und setzt uns Betrachter damit ebenfalls auf die Spur.
Die Überlebensgröße der Früchte konfrontiert uns mit einer nahezu überwältigenden Präsenz. Ohne Lupe kommen wir den Früchten so nah, dass wir meinen ihren Duft zu riechen, ihre Glätte zu spüren,
ihre Kühle oder ihre Sonnenwärme.
Die Umgebung ist meistens auf einen kleinen natürlichen Ausschnitt beschränkt (hier in den drei großen Arbeiten im Eingangsbereich) oder aber ganz reduziert. Es gibt oft gerade mal eine
Auflagefläche, vielleicht ist es ein Tisch, und einen neutralen hellen, manchmal dunklen Hintergrund, kaum einen konkreten Ort oder Raum.
Zumeist haben wir es tatsächlich nicht mit der Natur von „draußen“ zu tun, sondern mit einer Art Haushaltnatur. Es sind einfache Dinge, die vom Markt oder aus dem Supermarkt in der Küche landen.
Aber dann erhalten sie durch den künstlerischen Blick ihren Zauber, ihre Einzigartigkeit, ihre Würde auf neue Weise zurück.
Im klassischen Küchenstillleben, einer sehr beliebten Gattung in der Malerei des 17 Jahrhunderts, ging es um das Präsentieren der Fülle und der Vielfalt der Natur, und des Überflusses des
Angebots, und damit oft genug auch um das Vorzeigen des Reichtums der Besitzer (sog. Prunkstillleben).
Nicht so bei Angelika Schneeberger. Sie stellt selten die Fülle, und nie die Vielfalt dar. Nie legt sie verschiedene Früchte zusammen, sondern lässt die ganze Konzentration und Prachtentfaltung
einer Art zukommen. Auf einem Bild gibt es nur Kirschen oder nur Feigen, nur Birnen. Gerade diese Beschränkung auf eine Art, oft auch noch die Reduktion auf wenige Exemplare oder gar auf ein
einziges, führt zu einer besonderen Aufwertung und zu einer Intensivierung unseres Erlebens beim Betrachten. Auch stilllebentypische Accessoires, Gefäße, Schalen, Tücher kommen nur ganz
vereinzelt vor (im Obergeschoss), dann aber mit großer malerischer Delikatesse (Glasrand einer Schüssel mit Kirschen).
Insgesamt ist die Inszenierung, die Angelika Schneeberger für ihre Hauptdarsteller wählt, betont schlicht. Raffiniert wird sie vor allem durch die bemerkenswerte Beleuchtung im Bildinneren. Es
sind die lichten Glanzpunkte, die uns die Strahlkraft der satten Farben und die Plastizität der Früchte, die Kontrastformen etwa der Kirschenstile so besonders verlockend erscheinen lassen. Und
es sind die damit einhergehenden Schatten, die einen dunklen, geheimnisvollen Ton ins Bild bringen. Die Schatten heben auf der einen Seite das Leuchten hervor und deuten auf der anderen die
ursprüngliche Erdhaftung all dieser Fruchtbarkeit an. Auch das größte Bild dieser Ausstellung, „Gemeine Wiesenpflanze I“, lebt von diesem doppelten Reiz: Da ist die sonnige Strahlkraft der Blüten
und da ist die Dunkelheit als Grund, aus dem heraus all diese strotzende Vitalität erwächst.
Die Serie der kleinen zeichnerischen Arbeiten (hinter mir in der Galerie, Erdgeschoss) zeigt, wie genau Angelika Schneeberger ihre Protagonisten studiert, bis in die trockenen Schrunden hinein
oder unter die aufgeplatzte Hülle. Und sie entdeckt an ihnen völlig neue Anmutungen: Die Kinderschühchen entpuppen sich erst auf den zweiten Blick als keimende Bohnen, das Wüstengewächs
daneben als eine zu lang gelagerte Kartoffel. Ein besonderes Spiel treiben in diesen Arbeiten die Schatten. Sie erweitern und verwandeln das Naturfundstück oder führen isolierte Dinge zu einer
zarten Berührung. „Ganz natürlich“ lautet der Titel dieser Serie, der mit ironischer Hintergründigkeit darauf verweist, dass Angelika Schneebergers Kunst zwar der Natur und dem Realismus
verpflichtet ist, uns aber darüber hinausgehend vor allem mit großer künstlerischer Freiheit die Welt der Poesie und der Verzauberung erschließt und die natürliche Welt neu sehen lässt.
Monika Gimborn-Jochums Sichtweise und künstlerisches Tun sind ganz anders. Sie ergreift die Natur weniger mit den Augen als mit den Händen. Und dort wird sie bearbeitet, gefärbt, verhüllt,
umgemodelt, oft bis zum Verschwinden unter Schichten von Gips, Wachs, Pigmenten oder Draht.
Ein erster Überblick über die hier und in der oberen Etage ausgestellten Arbeiten zeigt die große Vielgestaltigkeit des Werks. Im Eingangsbereich die pastellfarbenen Quadrate mit ihren zierlich
wuchernden „Wiesen“ oder sprühenden Fontänen, dann grob gesägte Bretter, gespaltene Äste, Brennholzscheite – mal schwebend, mal aufrecht -, in der Vitrine feine Schmucknadeln, in der oberen
Etage Gipskuben und - in den Nischen - graziöse Glasröhrchen mit bunten Füllungen.
Beim genauen Hinschauen ist zu erkennen, dass jede Arbeit aus vielen verschiedenen Materialien besteht. Die Liste führt etliche Holzwesen oder Gipswesen oder Wachsobjekte auf. Das Kleingedruckte
verrät aber die weiteren, oft überraschenden Zutaten, die man kaum vermutet.
Das Beispiel der immer wieder auftauchenden Zapfenschuppen kann Licht werfen auf den eigentümlichen Schaffensprozess, in dem das in der Natur gefundene Material zu immer wieder anderen
künstlerischen Formen führt.
Auf einer Reise durch Kalifornien ist Monika Gimborn-Jochum fasziniert von den kolossalen Zapfen, die von den Riesen-Sequoias herunterfallen. Mit der Zeit öffnen sich die Zapfen und die
einzelnen Schuppen zeigen sich in ihrer eigenwilligen gekrümmten Gestalt mit dem spitz zulaufenden Dorn. Diese Gebilde begleiten die Künstlerin über einen langen Zeitraum (der vielleicht noch gar
nicht abgeschlossen ist).
Fast ehrfürchtig werden die Schuppen einzeln mit Blattgold belegt und zu kostbaren Anstecknadeln und anderen Zierformen verwandelt (Vitrine).
In den Bodenobjekten (neben mir) sind sie von Drähten umsponnen und wie ein Hoheitszeichen auf rohen Holzstücken fixiert.
Bei den sogenannten Quadraten (am Eingang) werden sie über dem farbigen Wachsbett schwebend zu einer bizarren Schar von Blüten oder vogelartigen Wesen zusammengefasst.
In zwei kleinen Wandobjekten (auf der 1. Etage, am Durchgang zur Galerie) sind sie die Hauptpersonen, einmal real, vergoldet, von Draht umschnürt und zentral auf einer dunklen Wachsstele
angebracht, gegenüber, auf weißen Wachsgrund, sind kleine Fotografien in gleicher Weise spiegelartig angebracht. Die Naturform ist verschwunden und dennoch präsent.
Am radikalsten lässt Monika Gimborn-Jochum das natürliche Fundstück in ihren Gipsarbeiten verschwinden. Im formlosen Gipsbrei gehen sie völlig verloren, kommen aber in der Bearbeitung, nach dem
Trocknen wieder zum Vorschein. Dann wird der Gipskubus geduldig beschnitten und geschliffen bis eine (handschmeichelnde) kompakte Form erreicht ist. Dann erscheinen die im Innern schlummernden
Elemente als überraschende Spur wieder, mal zart, mal heftig. (Schöne Exemplare in der Vitrine und in den sogenannten „Kleinformaten“, 1. Etage).
Ähnlich verfährt die Künstlerin auch mit Blüten, Tannensamen, auch Eisenspänen und Zellstoff. Sogar große Holzstücke, Brennholzscheite geraten in solche Prozesse. Im weichen Material von
Gips oder Wachs gehen die Fundstücke unter, verlieren ihre Form und erhalten dann in einem neuen Formzusammenhang eine neue Existenz. Sie sind noch immer und wieder da, wie zum Zeichen ihrer
Unverwüstlichkeit, ihres trotzigen Beharrens.
Man kann an die verwandelnde Kunst der Alchimisten denken oder auch an das mit Lehm und Matsch spielende Kind, das einem ursprünglichen schöpferischen Impuls folgt. Die Experimentierfreude und
Fantasie, mit denen Monika Gimborn-Jochum zu Werke geht, zeigen sie in der Tradition von beiden.
Dabei sind die Ergebnisse dieses Tuns nicht nur spielerisch leicht. Sehr prägnant und ernst erscheinen etwa die beiden als „Paar“ bezeichneten Arbeiten: Einige Dreiergruppen, zum Teil auch
Triptychon genannt, benutzen eine kultische, spirituell aufgeladene Anordnung und eröffnen weite Deutungsfelder. Verletzung, Vergänglichkeit, Schmerz vermitteln manche Objekte, deren
Farbigkeit an Blut erinnert, deren Formen auslaufen oder die von aggressiven Materialien hart durchkreuzt werden (Holzwesen „scharf geschossen“).
Eine andere Gruppe von Objekten möchte ich zum Schluss erwähnen, die einen strahlenden ästhetischen Reiz besitzt und ganz besonders den Augensinn anspricht, den ich zunächst eher Angelika
Schneeberger zugeordnet hatte. Es sind die Arbeiten mit Gläsern und Spiegeln und die Arbeiten, die zum Ein- und Aus- und Durchblicken anregen. Dazu gehört das große Bodenobjekt Durchblick (an der
1. Säule) mit seinen schön gefassten Linsen und Prismen, die ein alter Fotoapparat hergegeben hat, und die drei Bodenobjekte Trifolium (vor dem Fenster). Hier werden wir als Betrachter und
Benutzer selber zum aktiven Alchimisten, dem sich die Grenzen zwischen den Dingen verschieben, und zum spielenden Kind, das die Welt unbekümmert auf dem Kopf stehend anschaut.
Die beiden Künstlerinnen unterscheiden sich deutlich und spannungsvoll in ihren Sichtweisen, und sie eröffnen mit dieser gemeinsamen Ausstellung uns Besuchern neue Sichtweisen durch die sinnliche
Kraft ihres jeweils eigenen künstlerischen Zugriffs auf die Welt.
Die interessanten Räume laden dazu ein, die Werke Stück für Stück und in bunter Abfolge von Bildern und Objekten zu erwandern. In den versteckten Gängen und Galerien und in den überraschenden
Nischen gibt es einiges zu entdecken. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei.